Arbeitskreis gegen sexualisierte Gewalt feiert 25 Jahre
Der "Arbeitskreis gegen sexualisierte Gewalt" bringt Akteure im Landkreis an einen runden Tisch, um Kinder und Jugendliche zu schützen. Nun feierte er sein 25-jähriges Bestehen in der Mensa des Schulzentrums in Horb.

Von Annette Maria Rieger
Anfang der 1990er-Jahre hatten Ängste vor einem "Schwarzen Mann" auf dem Hohenberg die Runde gemacht. Kinderschutzbund, Polizei, Weißer Ring, Jugendamt und die Psychologische Beratungsstelle reagierten mit einer Info-Veranstaltung im Steinhaus, die auf großes Interesse stieß.
Seither ist die Runde - zu der auch das Katholische Jugendreferat, der DRK-Kreisverband Freudenstadt, der donum vitae Kreisverein Freudenstadt, das Jugendamt und die Frauenhilfe Freudenstadt e.V.gehören - als Arbeitskreis auf Augenhöhe im Austausch geblieben.
"Wir haben in dieser Zeit unendlich viel voneinander gelernt. Es war ungeheuer hilfreich, die Arbeit der anderen kennenzulernen und genau zu erfahren, welchen Auftrag das Jugendamt hat, welche Logik hinter der Polizeiarbeit steckt", sagte Brigitte Anheier, die bis 2018 die Psychologische Beratungsstelle Horb geleitet hat und für den Jubiläumsabend den Fachvortrag "Sexualisierte Gewalt und Achtsamkeit - über Grenzen und Grenzerfahrungen" vorbereitet hatte.
Ihr Nachfolger Fred-Jürgen Werr von der Psychologischen Beratungsstelle Horb, erinnerte daran: Anhand anonymer Fallbesprechungen wurde im Arbeitskreis ein Hilfesystem für konkrete Fälle ausgearbeitet. Es wurden etliche effektive Präventionsveranstaltungen gestemmt und im Rahmen des Grünprojekts ein "Denkmal" in die Öffentlichkeit gebracht.
Gemeinsam wurde die anonyme Spurensicherung im Kreiskrankenhaus etabliert, die den Betroffenen zwei Jahre Zeit gibt, einen Vorfall zur Anzeige zu bringen. Auch hat es der Arbeitskreis ermöglicht, dass Opfer sexualisierter Gewalt einen privilegierten Zugang zur Beratung und Betreuung erhalten, wenn sie sich bei der Polizei melden.
Die Moderatorin des Jubiläums, Birgit Bihler vom Weißen Ring, weiß noch genau aus ihrer Zeit als Kripobeamtin: "Es ist so gut zu wissen, wenn man weiß, dass es da Stellen gibt, die sich kümmern und weitergearbeitet wird mit den Opfern."
Dabei haben sich im Laufe der drei Jahrzehnte die Erscheinungsformen sexualisierter Gewalt und damit auch die Arbeit der Kooperationspartner völlig geändert. Ging es anfangs um die Sensibilisierung der Öffentlichkeit und das Aufbrechen von schambesetzen Tabus, so nehmen zwischenzeitlich die Sozialen Medien einen enormen Einfluss aus die sexuelle Erfahrungswelt Heranwachsender. "Oft erhalten Kinder schon vor dem ersten Kuss Bilder von erigierten Gliedern", formulierte Birgit Bihler in aller Drastik. Aus der Notwendigkeit heraus hat die Frauenhilfe Freudenstadt e.V. ein Präventionsprojekt entwickelt, das jetzt an Schulen im Landkreis startet: "Liebe braucht Respekt".
Vereinsvorsitzende Martina Sillmann erklärte: "Jugendliche sollen schnell analysieren können, ob sie eine gewalttätige Beziehung eingehen und wie sie einander helfen können." Für Erwachsene gelte es, eine Kultur des achtsamen Miteinanders vorzuleben, so Birgit Anheier.
Junge Frauen seien heute zwar selbstbewusster also noch vor 20 Jahren. Doch noch immer passiere sehr viel. Zumal, so gab Schulsozialarbeiterin Marion Frank zu bedenken, aus dem stärkeren Selbstbewusstsein auch eine höhere Risikobereitschaft resultiere. Für betroffenene Jungs - einer Studie zufolge sind das 16 Prozent der bekannten Fälle - sei die Hemmschwelle zu reden viel höher als bei Mädchen.
Maria Wingfield vom DRK-Kreisverband Freudenstadt zufolge hilft der Austausch durch den Arbeitskreis ganz konkret in der Weiterbildung von Ehrenamtlichen. Diese sollen als Helfer vor Ort genauso wie in Jugendgruppen erkennen können: "Was gibt es da für Mechanismen? Was passiert da genau?"
Genaues Hinhören jagte beim Festakt dann auch einen Schauer über den Rücken. Beratungsstellen-Leiter Fred-Jürgen Werr und Bert Henger von der Kriminalpolizei Freudenstadt intonierten das Volkslied "Sah ein Knab ein Röslein stehen" - in seiner ganzen Perfidität: "Knabe sprach: Ich brech Dich, Röslein auf der Heide".
Einen Dank an alle, die nicht wegschauen, sprach Bürgermeister Ralph Zimmermann dem Arbeitskreis aus: "Wir sind auf Menschen im Ehrenamt angewiesen, damit das Leid wenigstens gelindert wird und Opfer wieder Zugang zu einem normalen Leben finden, ihre Traumata bewältigen und überwinden können." Er verspreche, die Stadt werde den Arbeitskreis weiter begleiten. Und wünsche doch, dass es diesen irgendwann nicht mehr geben müsse.