Mit neuer Technologie im Wettlauf gegen die Zeit
Im Ernstfall mit vielen Schwerverletzten und Toten müssen Einsatzkräfte einen kühlen Kopf bewahren, sich einen Überblick über das Geschehen verschaffen und schnell handeln. Mithilfe einer neuen Technologie könnten die Abläufe bei einem Großeinsatz optimiert werden, was nun mittels einer MANV-Studie (MANV: Massenanfall von Verletzten) der Universität Bonn bewertet werden soll.
Von Andreas Wagner
Hierfür wurden insgesamt vier verschiedene Szenarien geschaffen, wobei die IoT-Technologie (Internet of Things) des Unternehmens "ZF Friedrichshafen" zum Einsatz kommt.
Jedes Szenario wird zweimal durchgeführt, wobei in einem Fall zum direkten Vergleich die Vorgehensweise rein analog erfolgt. Bei der analogen Vorgehensweise werden Verletzte und Schwerverletzte von Einsatzkräften markiert und in Papierlisten eingetragen. Hierbei werden Schwerverletzte Rot markiert und müssen sofort versorgt und in ein Krankenhaus gebracht werden.
Die Koordination der Einsatzkräfte auf Papierlisten sei laut Studienleiter Frank Klink nicht mehr zeitgemäß. Bei großen Flächen mit vielen Verletzten könne auf dynamische Veränderungen nicht schnell genug reagiert werden. Im schlimmsten Fall könnten sogar Patienten vergessen werden.
"Ich bin überzeugt, dass die Technologie dazu führen kann, dass Menschen überleben, die bisher nicht überleben", verdeutlichte Klink im Rahmen der Großübungen am vergangenen Samstag. Die IoT-Technologie ermöglicht, die verschiedenen Einsatzkräfte und das Equipment vor Ort miteinander zu vernetzen, Daten auszutauschen und in Kommunikation zueinander zu bringen.
Hierdurch soll im Ernstfall ein gutes Management, ressourcensparendes und schnelles Handeln möglich sein, womit bei Großschadenslagen mehr Menschen vor dem Tod bewahrt werden könnten.
Insgesamt 127 Personen mit 29 Einsatzfahrzeugen nahmen an den Übungsszenarien auf dem ehemaligen Kasernengelände in Horb teil. Darunter etliche Institutionen des DRK sowie die Johanniter Unfallhilfe und Feuerwehr Einsatzkräfte aus dem Landkreis.
Für die wissenschaftliche Betreuung zeigten sich die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophe mit Prof. Dr. Frank Hörmann (Erstgutachter), Dr. med. Jan-Philip Stock (Zweitgutachter) und Alexander Grupp (ZF / Technische Betreuung) verantwortlich.
Im ersten Szenario wurde ein Brand in einer Betreuungseinrichtung simuliert, während im zweiten Szenario ein Zugunglück mit einem verunfallten Pkw simuliert wurde. Bei Letzterem galt es, insgesamt 55 Personen medizinisch zu versorgen.
An einem unbeschrankten Bahnübergang kam es zu einem Zusammenstoß zwischen einem Personenzug und einem Pkw. Der Zug wurde durch einen Reisebus der Firma "Schweizer Reisen" dargestellt.
Nach dem Eintreffen der Einsatzkräfte wurden die Personen gesichtet und die Patienten gemäß ihres medizinischen Zustandes farblich gekennzeichnet. Jeder Teilnehmer erhielt zuvor ein Drehbuch, welches die persönlichen Daten des Patienten sowie das gesundheitliche Befinden beinhaltete.
Im Zuge der Sichtung der Patienten wurden die Verunfallten mit einem "GPS-Tracker" ausgestattet, mit welchem auch die farbliche Kennzeichnung übermittelt werden konnte. Einen solchen führten auch die Rettungskräfte mit sich, womit in Echtzeit der Standort aller Verletzten und Rettungskräfte an die Einsatzleitung übermittelt wurde.
Rot markiert wurden die Verletzten, welche sofort medizinisch betreut werden mussten, während dringende Notfälle gelb markiert wurden. Somit konnten die Einsatzleiter stets nachvollziehen, wo sich die Patienten und die Rettungskräfte aktuell befinden. So erhielt mancher Sanitäter bei der Übergabe eines Patienten von der Einsatzleitung noch den Hinweis, dass sich noch weitere Schwerverletzte in dem Bereich befinden.
"Ich habe mich schon gewundert woher die wussten, dass dort wo wir herkamen noch weitere Verletzte sind", verriet ein ehrenamtlicher Helfer vom DRK. Erst als diesem der große Bildschirm im Heck eines Fahrzeugs auffiel, beantwortete dies seine Frage.
"Die Vorbereitungszeit von intensiven fünf Monaten hat sich absolut gelohnt. Es konnten alle Daten gesammelt werden, die für die Studie erforderlich sind", stellte Studienleiter Klink abschließend fest.
Zudem sei von den Einsatzkräften häufig betont worden, dass trotz der "Studien-Künstlichkeit" ein sehr hoher Übungseffekt generiert werden konnte.
Auffallend sei die sehr gute Perfomance der Einsatzkräfte und insbesondere der Einsatzleitungsteams um Markus Müller und Lasse Schröder sowie Angi Matt und Alexander Frietsch in allen Szenarien gewesen.
"Die Teilnehmenden waren sehr motiviert und hochkonzentriert. Die Drehbücher und "Spielregeln" wurden von den Teilnehmenden hervorragend umgesetzt", freute sich Klink, welcher am kommenden Samstag zwei weitere Szenarien auf dem Kasernengelände durchspielen wird. So soll die neue Technik bei einem Verkehrsunfall sowie einem Amoklauf-Szenario auf einem Stadtfest getestet werden.